Monogamie, Polyamorie, offen oder à la carte?

In früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten war der Deal meist klar. Es wird geheiratet, oft aus wenig romantischen Gründen, sondern eher aus Vernunft. Der Bauernhof musste beispielsweise an die nächste Generation übergeben werden. Da wurde irgendeine gebärfreudige junge Frau gesucht, die wiederum auf ihrem Hof als Erbin aufgrund ihres Geschlechts natürlich nicht infrage kam. Sie heiratete den Jungbauern, den sie mit Glück vorher ein oder zweimal gesehen hatte. In den folgenden Jahrzehnten bekam sie ein Kind nach dem anderen, war im Gegenzug versorgt und der Bauer hatte im Erfolgsfall seinen Erben. Und natürlich schützte die demonstrativ gelebte Monogamie auch vor dem Verdacht, dass der Bauer vielleicht nicht alle Nachkommen selber gezeugt hatte. Der ach so schöne Schein wurde bewahrt. Liebe war da bei den Entscheidungen für Beziehungen eine Option, aber keine Bedingung.

Heute gibt es deutlich weniger Höfe zu vererben, Kinderscharen von acht bis zwölf Kindern sind gesellschaftlich deutlich weniger erstrebenswert und vor allem die Frauen brauchen keine Versorger mehr. Frauen kommen in der Regel ganz hervorragend ohne jemanden klar, der das Essen auf den Tisch bringt, während sie die acht bis zwölf Kinder versorgen und mit dem nächsten schwanger sind.

Ja, ich vereinfache sehr stark, aber die Idee wird klar.

  • Nur noch wenige Menschen, zumindest in der wohlhabenden sogenannten westlichen Welt, stehen heute unter gesellschaftlichen und oder wirtschaftlichen Zwängen, Kinder bekommen zu müssen.
  • Durch Verhütung können Menschen heute sehr viel besser als vor hundert oder mehr Jahren bestimmen, ob sie schwanger werden wollen oder nicht.
  • Das wiederum hat den Frauen erlaubt viel einfacher schlicht aus Spaß und Lust Sex zu haben.
  • Frauen können sich wesentlich besser als damals selber versorgen und für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Durch diese und andere Faktoren hat sich die Art wie wir Partner wählen verändert. Die Gründe für die Wahl dieser Partner haben sich verändert und damit haben sich in den letzten Jahrzehnten und speziell den letzten Jahren vermehrt auch die Formen der Partnerschaften, die wir eingehen, verändert.

Früher war Monogamie quasi der ungeschlagene Meister aller Klassen unter den Beziehungen. Es gab nichts anderes. Zumindest offiziell. Heiraten, bis zum bitteren Ende zusammen bleiben und fertig. Der Mann vögelte gegebenenfalls seine Sekretärin, die Frau vielleicht den Nachbarn und man tat, als seien alle glücklich. Es wurde ja so erwartet.

Einer meiner Lieblingswitze zu dem Thema ist der, wo ein Ehepaar, er 98 und sie 96 zum Scheidungsanwalt kommen und sich scheiden lassen wollen. Auf seine Frage „Entschuldigen Sie, aber in ihrem Alter? Wieso erst jetzt?“. Worauf sie sagt „Wir wollten warten, bis die Kinder tot sind.“

Ja, sorry, der musste raus.

Heute lesen wir überall Schlagworte wie „offene Beziehung„, „Polyamorie“ oder „Ehe zu dritt„. Wie auch früher, haben Leute heimliche Affären, aber verrückterweise gibt es auch Menschen, die ganz offen und quasi „ungeniert“ Sex mit wechselnden Partnern haben oder parallel mehrere Beziehungen führen.

Wer mit dem Begriff Polyamorie nichts anfangen kann, dem kann ich dieses Zitat als Erklärung anbieten:

„Polyamorie ist ein nicht-monogames Beziehungsmodell, das dadurch charakterisiert ist, dass die beteiligten Personen gleichzeitig Liebesbeziehungen mit mehreren Menschen leben und dass dies bei vollem Wissen und Einverständnis aller beteiligten Partner geschieht. Freiheitsliebe, Toleranz, Flexibilität und Verantwortung ermöglichen das Gelingen von Polyamorie. Die beteiligten Beziehungspersonen benötigen hierfür einen hohen Reifegrad, große Kommunikationsfähigkeit und emotionale Stärke. Gegenspieler der Polyamorie sind die Eifersucht und der meist mit einem monogamen Liebesideal verbundene Treue-, Besitz- und Ausschließlichkeitsanspruch.“

Aus dem Artikel „Polyamorie – ein Weg aus den Zwängen der Monogamie und destruktiver Eifersucht?“ aus „Journal für Psychologie“.

Ich bin ein großer Fan dieser alternativen Modelle. Wie sie auch immer heißen und funktionieren. Versteht mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Monogamie. Ich habe nur einfach auch nichts gegen Polyamorie oder andere Modelle. Ich bin nur dafür, dass sich jeder Mensch die Beziehungsform wählt, die für sie oder ihn richtig ist. Ohne dafür verurteilt oder überhaupt bewertet zu werden.

Weiterhin bin ich dafür, dass das Wissen über und die Akzeptanz dieser Möglichkeiten viel weiter verbreitet wird. Denn wer in jungen Jahren nur ein Modell kennt, dieses eingeht und womöglich Kinder bekommt, hätte sich vielleicht für eine andere Beziehungsform entschieden, wäre diese bekannt und sozial akzeptiert gewesen.

Andererseits können sich Bedürfnisse aber auch ändern. Wo früher der Wunsch nach einem Nest und einer Familie im Vordergrund stand und ausschlaggebend für die Partnerwahl war, kann es Jahre später ganz anders aussehen und die eigene Sexualität oder andere Dinge können ganz oben in der Bedürfnispyramide stehen.

Dann im Erwachsenenalter und womöglich mit bestehender Familie umzusteuern, ist nicht selten schwierig oder schmerzhaft.

Ich schreibe sicher niemandem vor, wie sie oder eher seine Beziehung oder Sexualität auslebt. Allerdings plädiere ich immer für die Beschäftigung mit den eigenen Bedürfnissen, für Offenheit in der Kommunikation miteinander und für Toleranz, den Bedürfnissen anderer gegenüber.

Sind diese Faktoren gegeben und Mensch wüssten besser, was ihnen guttut, würden offen mit aktuellen oder potenziellen Partnern darüber kommunizieren und träfen dabei auf Verständnis und Akzeptanz, statt auf Ablehnung, dann wäre uns insgesamt schon sehr geholfen.

Was ich sagen will: beschäftigt euch damit, was ihr wollt und was euch guttut. Wenn ihr und euer Partner eine Beziehung mit einem Menschen leben wollt, der den Wunsch hat, nur mit euch in einer Beziehung zu sein, dann lebt eben monogam. Wenn ihr gerne eine feste Beziehung wollt, in der einer oder beide sich sexuell auch mit anderen ausleben können, dann macht eben das mit jemandem, der denselben Wunsch hat. Könnt ihr euch vorstellen, mehrere Menschen zu lieben und mit zwei oder drei Menschen parallel verbindliche Liebesbeziehungen zu haben, dann ist vielleicht Polyamorie das Richtige für euch.

Was es auch immer ist: schaut, was euch guttut. Sucht euch die Beziehung, die dazu passt und verurteilt andere nicht, für deren Wahl in derselben Frage.


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2 Gedanken zu “Monogamie, Polyamorie, offen oder à la carte?

  1. Vielen Dank für deine Gedanken. Auch ich frage mich, ob ich, wenn ich das Konzept der offenen Beziehung früher schon gekannt hätte, schon viel länger eine solche führen würde… Aber dann gäbe es vielleicht meine beiden Kinder nicht, die immerhin recht gut geraten sind. Nun ja, hätte, hätte, Fahrradkette….
    Für eine offene Beziehung braucht es aber auch, wie du geschrieben hast, eine ganze Menge Selbstbewusstsein, Toleranz und Eigenständigkeit, die mein jüngeres Ich nicht hatte. Deshalb bin ich doch froh, erst jetzt eine offene Beziehung zu leben und grade überaus glücklich, zufrieden und sexuell befriedigt. 🙂
    Liebe Grüsse aus der Schweiz,
    Jasmina

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    • Vielen Dank für deinen Input und deine Geschichte. Ja, vielleicht gäbe es die Kinder nicht. Vielleicht aber doch. Oder sozusagen andere Kinder. Aber wenn Du im Rückblick und jetzt zufrieden und sexuell befriedigt bist, dann ist ja alles gut.

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