Ängste, Mut und Gollum

Habt ihr schon mal gedacht „Wieso sind die alle so selbstsicher“ oder „Wie können die so selbstbewusst auftreten“? Wir sehen, wie jemand sich gibt oder sehen jemanden auf einem Bild. Wir lesen jemandes Nachrichten oder Texte. Wir nehmen jemanden ganz grundsätzlich wahr und denken: „Der Menschen ruht in sich und ist so von sich überzeugt.“. Manchmal denken wir auch „Den Menschen würde ich gerne kennenlernen. Aber oft folgt der Gedanke „Was kann so jemand an mir finden? Was habe ich schon zu bieten?“.

Wisst ihr auch, warum? Weil niemand so kritisch mit uns ist, wie wir selber und das beeinflusst uns im beruflichen Umfeld, aber besonders auch beim Dating.

Denn von allen anderen Menschen nehmen wir nur die Außenansicht wahr. Nur von uns selber kennen wir die Innenansicht. Und niemand ist so kritisch mit uns, wie wir es selber sind.

Dieses eine Fältchen, dass niemand sieht, halten wir selber für einen riesigen Makel. Diese Hautunreinheit, die wir an uns hassen, nimmt niemand so sehr wahr wie wir selber. Diese fehlenden Zentimeter am Penis, die wir so unfassbar wichtig nehmen, interessieren niemanden so sehr wie uns.

Wenn wir also auf jemanden zu gehen, den wir interessant finden, dann ist es nicht sehr unwahrscheinlich, dass wir uns selber als eine Art Gollum sehen und das Gegenüber als ein Abbild von Perfektion, während das Gegenüber sich selber wahrscheinlich auch eher auf der Gollum-Seite des Spektrums, als auf der Perfektionsseite sieht.

Nein, es geht in diesem Text nicht darum, dass euch Kim Kardashian oder Brad Pitt irgendwann doch lieben werden. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen, dafür, dass wir alle unsere Unsicherheiten und Verletzungen mit uns herumtragen.

Jedes Mal, wenn ein Mensch uns sagt „deine Brüste hängen“, „Du bist zu dick“ oder „Wenn du nicht so oder so wirst, dann findest du niemanden, der dich liebt“, dann hinterlässt das bei uns Spuren.

Die einen gehen damit um, in dem sie sich zurückziehen. Die anderen, in dem sie noch offensiver werden.

Oft erfordert es Mut, wieder nach draußen zu gehen, wieder auf jemanden zuzugehen und sich wieder zu öffnen. Manche geben irgendwann auf.

Auch jede Beziehung, in der wir belogen oder betrogen werden, hinterlässt diese Spuren. Jedes Mal, wenn wir geghostet werden, dann nehmen wir das mit. Jedes Mal, wenn wir Versprechungen gemacht bekommen, die dann beim ersten Gegenwind nicht mehr gelten, dann nehmen wir auch das mit in spätere Beziehungen.

So tragen wir alle Ängste, Verletzungen, Spuren und Erfahrungen mit uns herum. Aber nur wir wissen, welches unsere sind. Plötzlich reagieren wir auf einen harmlosen Kommentar oder eine flapsige Bemerkung, weil ein wunder Punkt berührt wurde, den so sonst niemand hat und daher versteht im ersten Moment vielleicht auch niemand, wieso uns das trifft.

Es ist wichtig zu verstehen, dass wir alle diese wunden Punkte, Empfindlichkeiten und Verletzungen haben, um mit uns selber und unseren Gefühlen und Reaktionen besser umgehen zu können.

Es hilft aber auch, sich zu vergegenwärtigen, dass es unserem Gegenüber vielleicht auch so geht. Denn wie gesagt, unsere Verletzungen und Empfindlichkeiten kennen wir im besten Fall. Die unseres Gegenübers kennen und sehen wir nicht.

Lernt ihr jemanden kennen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass auch euer Gegenüber diese wunden Punkte hat, diese Situationen, die sofort Ängste oder Sorgen auslösen. Niemand kann und sollte um alles herumtanzen und alles vermeiden, was ganz vielleicht sein Gegenüber verletzen könnte. Man kann nicht alles vermeiden. Etwas Anstand und gute Manieren genügen schon mal. Aber es hilft, sich klarzumachen, dass auch unser Gegenüber ein Produkt von Erfahrungen und manchmal Verletzungen ist.

Etwas Verständnis ist da gegenseitig angebracht und hilfreich. Denn am Ende sind die wenigsten von uns Kim Kardashian oder Brad Pitt. Aber eben auch nicht Gollum.

Hinterlasse einen Kommentar