Ich gewöhne mir BDSM ab

Wie oft habe ich die Aussage gehört: „Jahrelang dachte ich, Sex ist einfach nicht mein Ding. Und dann habe ich BDSM entdeckt und plötzlich wusste ich, was all die Jahre gefehlt hat.“

Ist das nicht toll? Wenn man plötzlich seine wahre Neigung entdeckt und versteht, was alle an Sex immer so toll finden? Plötzlich kann man ihn genießen und er befriedigt. Möglicherweise nach Jahrzehnten der Frustration?

Ja, grundsätzlich ist das toll. Aber auch nicht immer. Denn was ist, wenn man diese Neigung entdeckt, aber in einer Beziehung steckt? In einer Beziehung mit jemandem, der diese Neigung nicht teilt? Der womöglich über die Jahre immer wieder zu verstehen gegeben hat, dass er so etwas „krank“ oder „abartig“ findet. Was dann?

Ich habe eine Frau gekannt, die ihre devote Seite entdeckt hat. Sie war Feuer und Flamme. Es war wie ein Funke, der auf einen ausgetrockneten Waldboden fällt. Wir haben uns getroffen und es hat gepasst wie es nur passen kann. Aber sie war verheiratet.

Nach dem Treffen bekam sie Panik und hat den Kontakt abgebrochen. Mit der Erklärung, noch ein Treffen und sie könne nicht mehr zu ihrem Mann zurück kehren. Sie war 25 Jahre verheiratet und hatte mit ihm zwei Kinder. Ihre Reaktion war: „Ich gewöhne mir BDSM ab.„.

Kann das gut gehen? Meiner Meinung nach nicht. Denn BDSM ist eine sexuelle Neigung wie alle anderen. Und eine solche Neigung zu unterdrücken ist dem persönlichen Wohlbefinden und Glück zumindest mal nicht förderlich. Seine eigene sexuelle Identität zu unterdrücken ist nicht einfach.

Sicher kann man beispielsweise den Sexualtrieb, den man hat, komplett unterdrücken. Manchen mag das gelingen. Den meisten jedoch nicht. Ich spreche da bewusst nicht von denen, die diesen Trieb gar nicht haben. Sondern von denen, die ihn haben, aber bewusst unterdrücken. Zufrieden und glücklich wird man so eher nicht.

Und so wird es mit dem Trieb nach BDSM auch sein. Es ist nun einmal die Form von Sexualität, die einen erfüllt. Man kann versuchen, darauf zu verzichten und eine andere Form leben. Aber es wird kaum so erfüllend sein wie das, was einen eigentlich antreibt und anmacht.

Sicher ist es schwer, wenn man in einer Situation lebt, in der man sich zwischen dem eigenen Lebensentwurf und der sexuellen Präferenz entscheiden muss. Dafür gibt es keine Patentlösung. Ein paar Tipps habe ich im Artikel „Neugierig auf BDSM aber vergeben“ versucht zu geben.

Wer dennoch der Meinung ist, es sei doch einfach, auf so etwas wie BDSM zu verzichten obwohl es die die Neigung ist, die einen ausmacht, der kann ja mal folgendes Gedankenexperiment machen: egal welche Neigung ihr habt, stellt euch vor ihr müsstet sie euch abgewöhnen.

Stellt euch vor, ab morgen müsstest ihr, statt auf euer bevorzugtes Geschlecht, auf das andere Geschlecht stehen. Kann doch nicht so schwer sein, oder? Habt einfach den Rest eures Lebens Sex mit dem Geschlecht auf das ihr nicht steht. Oder habt alternativ gar keinen Sex mehr.

Klingt verlockend, oder? Eben. Und genauso erfolgversprechend ist es, sich die Neigung zum BDSM abzugewöhnen.

Und wer seine Neigung immer und immer unterdrückt, der wird in der Beziehung unglücklich sein. Der wird es dem Partner mindestens unterbewusst vorwerfen. Und dann steht so oder so am Ende womöglich die Trennung. Auch das ist nicht leicht. Keine der Alternativen ist schön.

Mein Ratschlag auch hier: sucht das Gespräch. Versucht euch mitzuteilen. Ein verständnisvoller Partner wird gemeinsame Lösungen suchen wollen. Und seid ihr in einer Lebenssituation, in der es absolut und auf keinen Fall in Frage kommt, mit dem Partner zu reden oder die Neigung anders auszuleben, dann sucht euch ebenfalls jemanden zum reden.

Eine gute Freundin oder einen guten Freund. Eine Psychologin oder einen Psychologen. Irgendjemanden. Denn simples Unterdrücken von Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen hat selten zu irgendetwas Gutem geführt.

11 Gedanken zu “Ich gewöhne mir BDSM ab

  1. Guter Beitrag!!!
    Insbesondere über Sexualität wird hierzulande zu wenig offen geredet. Allein das Wort `Sex´ scheint in Deutschland immer noch ein Fremdwort zu sein.
    Nur weiß ich jetzt nicht mehr genau, was BDSM in Gänze bedeutet. Aber das ist egal. Wichtig ist nur, dass jede(r) seine Sexualität leben lernen muss. Und dazu gehören immer mindestens zwei. Und wenn einer auf Dauer verzichtet, bedeutet das ungesunden Stress, der über die Jahre zu nachhaltigen psychischen Problemen führen wird.
    Das Gespräch suchen, und vor allem führen – und alle sexuellen Bedürfnisse offen ansprechen. Und das braucht alles viel Zeit und Ruhe.
    Zum Schluss noch der Hinweis, dass Sex haben gesünder ist, als wir uns vorstellen können. Übrigens geht`s auch leichter mit Humor…
    Schönes W`ende
    Jürgen aus Loy (PJP)
    P.S. Ich möchte noch meine Beiträge zum Thema hier gern teilen:
    https://4alle.wordpress.com/category/sexualitaet/

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  2. Du hast so Recht. Ich denke abgewöhnen geht einfach nicht. Nicht ausleben geht, doch dann fehlt insgeheim was und Glücklich ist dann auch was anderes …..

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  3. Es ist verdammt schwer damit zu leben, dass der Partner aufgrund seiner Erziehung nichts mit BDSM am Hut hat. Du kannst es für gewisse Zeiten verdrängen, aber nicht vergessen. Nach dreißig Ehejahren suchst du nach neuen Wegen. Meine Frau wird immer die Nr. EINS sein. Aber ohne BDSM geht es auch nicht. Es hilft wirklich nur das Gespräch und so wie bei uns, eine Spielbeziehung. Nur mit dem Alter wird das ach schwieriger. Eine 100prozentige Lösung habe ich noch nicht.

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    • Hallo Mastergunter,
      ich möchte da gerne nachhaken, da ich denke, du bist im Alter ähnlich wie ich (60) und wie du das lebst mit deiner Frau, die immer die Nr. 1 ist. Wenn man jünger ist, denke ich, ist es um einiges einfacher, die Partnersuche und -auswahl ist nicht so eingegrenzt. Ich habe eben festgestellt die 6 vor dem Alter ist schon ein heftiger Schritt oder Grund… da fliegst du aus vielen Vorgaben raus.

      Fühlt deine Frau sich denn nicht zurückgesetzt, nicht begehrt, da du ja was anderes suchst und – so wie es klingt – hast (Spielbeziehung)
      Ein – sagen wir mal – schlechtes Gewissen ist doch immer da und vor allem die Möglichkeit das man jemanden kennenlernt, mit dem dann es so aussieht, wie wenn es oder alles passt und man dann doch an Trennung denkt. Oder ist dir das noch nie passiert?

      Ich kann das sehr gut nachvollziehen, ich habe eine ähnliche Situation – siehe unten) zwar keine 30 Ehejahre….

      Freue mich über einen Austausch – viele Grüße
      Peter

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  4. Danke für den Artikel, der aber wohl nicht vielen, die in dieser Situation sind, wirklich hilft.
    Es sind die Gewissenbisse, wenn man einen Partner/in hat, der nicht drauf steht, es sonst aber „passt“.
    Ist „es“ = BDSM wert, sich zu trennen? Es ist einfacher, wenn man einen „neuen“ BDSM-kompatiblen Partner in petto hat. Wenn nicht, kann auch die Leere kommen und dann das verzweifelte Suchen.
    Je nachdem, wie lange man das schon hat und macht und ob man es offen oder eher geheim = für sich allein erlebt, es ist ein Wechselbad vor allem je älter man wird.
    Da kommt auch noch der Aspekt auf, wie lange geht es noch mit der Sexualität, mit BDSM. Ich z.B. bin jetzt 60 Jahre und habe eine Partnerin, die für meine Bedürfnisse BDSM kein Verständnis = kein Verstehen warum/weshalb/das es eben ein Bedürfniss ist, hat. Wie soll das auch jemand, wie du es schreibst, wenn man nicht auf das andere Geschlecht als Beispiel steht, wie soll man das dann verstehen, das jemand anderes das eben unbedingt will und braucht.

    Ja, es ist genau wie du es beschreibst, man fühlt das was fehlt und man es unbedingt „leben“ möchte,
    Unterdrücken kann man es, vor allem wenn man frisch in jemanden „normalen“ verliebt ist, Aber das Bedürfniss kommt immer wieder hoch. Dann gibt es die Phantasie, die Selbstbefriedigung, in der oder mit der man sich diese Situationen ausmalt und geniesst. Leider ist das kontraproduktiv zur Partnerschaft, da man sich zurückzeiht, „es“ für sich selbst ausmacht und irgendwann damit zufrieden ist.

    Es ist ein unschöner Weg (als schrecklich will ich es nicht bezeichnen, da man es ja selbst in der Hand hat und wenn der Leidensdruck hoch genug wird, geht man.

    Würde gerne hören, ob es anderen genauso geht oder ob ich da ein Einzelfall bin.

    Danke – viele Grüße
    Peter

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    • Danke für deine offenen Worte. Mein Beitrag bietet keine Zauberformel mit der man dieses Problem lösen kann. Es ist so einfach nicht zu lösen. Ob er eine Hilfe ist, ist sicher Ansichtssache. Denn wenn man akzeptiert, dass man sich diese Neigung nicht wird abgewöhnen können, ist einem auch geholfen.
      Eine Lösungsansätze habe ich im erwähnten Beitrag geboten, den Du hier findest: https://eisbaerbdsm.wordpress.com/2018/08/06/neugierig-auf-bdsm-aber-vergeben/

      Ansonsten kann ich dir nur viel Glück wünschen. Eine Lösung kann ich dir leider nicht bieten. Aber hoffentlich finden sich noch Leute die deine Zeilen lesen und etwas dazu sagen.

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  5. Vielen Dank für diesen Artikel.
    Abgewöhnen kann man es sich sicher nicht. Allenfalls darauf verzichten, oder es verdrängen.
    Es kommt wohl immer darauf an, welchen Preis man bereit ist zu zahlen.
    Doch manchmal lohnen sich die Geduld und gefühlten 1000 vernünftigen Gespräche mit dem Partner am Ende, und man findet gemeinsam einen Weg.
    Ich würde mir dieses Thema für den Podcast wünschen (vlt sogar mit anonymen Erfahrungsberichten).

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  6. Eisbär,
    das wollte ich dir schon lange schreiben: Danke für deine Beiträge, ich fühle mich dadurch nicht mehr so alleine.
    Du hast mir aus der Seele geschrieben, denn mir geht es so, wie deiner damaligen Bekannten.
    Ich dachte immer, mit mir stimmt etwas nicht, dass ich frigide sei. Habe mich immer nach Unterwerfung gesehnt, die nicht in meine Ehe passt, denn mein Mann ist nicht dominant und wird es auch nie sein. Auch kann ich von einer offenen Beziehung nur träumen. Ich habe auch die Schnauze voll von Ratschlägen wie: „den Weg gemeinsam gehen“ oder von Moralapostel, die mich als Ehebrecherin hinstellen, weil niemand mich schlechter machen kann, als ich mich selbst fühle. Ich habe den Druck nicht mehr ausgehalten, es meinem Mann gestanden. Es war furchtbar! Das ich über 20 Jahre treu war, zählt da wenig. Ich bin sehr harmoniebedürftig, schlichte immer. Es war eine Schlammschlacht sondergleichen und er hat unseren Kindern alles brühwarm erzählt (das kann ich noch nicht verzeihen). Lange Rede, ich könnte alles verlieren, ihm gehts sauschlecht, hat viel abgenommen und mein schlechtes Gewissen bringt mich um. Versuche, es allen recht zu machen. Ich selbst mache nichts, harre der Dinge und ersticke. Ach, könnte ich die Zeit zurückdrehen, hätte ich es doch nicht erlebt, es wäre besser.
    Ich habe mich noch nie so frei und glücklich gefühlt, als ich gefesselt und ganz unten war!
    Ich stimme mit dir überein, ich werde es auf Dauer nicht unterdrücken können, es ist ein Teil von mir, der immer gefehlt hat. Ich fühle mich taub und unglücklich, doch ich ertrage es nicht, wenn andere leiden.
    Manchmal geht es. Doch dann genügt ein Augenblick und ich heule heimlich wie ein Schlosshund. Gestern habe ich eine Doku über Libellen gesehen. Als aus der Puppe die fertige Libelke geschlüpft ist, da hat der Sprecher etwas gesagt, das ich seitdem nicht mehr aus dem Kopf bekomme:

    „Sie entfaltet ihre Flügel. Endlich bereit zu fliegen.“

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    • Danke für deine berührenden Worte. Es freut mich sehr, dass meine Beiträge dir helfen und dich weniger einsam machen. Du gehst da einen schwierigen Weg. Du hast dich dafür entschieden offen zu sein. Weil Du spürst, dass deine Neigung nicht weg gehen, nicht verschwinden wird. Das ist kein einfacher Weg. Auf diesem Weg wünsche ich dir viel Kraft. Und wenn Du den gefunden hast, der zu dir passt, dann wirst Du sicher auch fliegen.

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  7. Hallo,
    Ich informiere mich zurzeit über BDSM, da ich eine Dokumentation gesehen habe. Ich möchte einige Dinge ausprobieren, weiß aber nicht, ob mein Mann „dominant“ genug dafür ist.
    Wie erkenne ich das?
    Liebe Grüße,
    Vera

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